Ondine Dietz

freie Autorin und
Installationskünstlerin


Alle Lesungen von Ondine Dietz bei www.ondine-dietz.de


Ondine Dietz wurde 1967 in Temeswar, Rumänien, in eine multiethnische Familie hineingeboren. Debüt 1983 in der Kulturzeitschrift „Orizont“ mit Lyrik in rumänischer Sprache. Ab 1986 war sie Mitglied des Ensembles des Deutschen Staatstheaters Temesvar und führte Regie bei diversen Projekten und Vor-stellungen. Ondine Dietz lebt und arbeitet in Karlsruhe.

Anfang der 90er Jahre emigriert sie nach Deutschland, wo sie anfängt, in Deutsch zu schreiben. Veröffentlichungen in diversen Literaturzeitschriften (cet-literatur, außerdem, Matrix). Ab 2004 zahlreiche Lesungen in Karlsruhe, Stuttgart in München, Teilnahme an Literatursalons und kulturelle Veranstaltungen, Zusammenarbeit an diversen künstlerischen Multimedia-projekten. Parallel Veröffentlichungen in rumänischen Literaturmagazinen: „Vatra“, „Agora“. 2004 erscheint der Gedichtband: „Featuring“. 2008 erscheint der Erzählband „Frühlingsnerven“, herausgegeben im Auftrag der Ischfra.

Im Rahmen von „Kunsttransit“ veranstaltet Ondine Dietz Lesungen bei denen „nomadische Textkörper“ auftreten und agieren und der poetische „Migrationshintergrund“ von Bewusstsein- und Empfindungsstrom untersucht wird.


Marlon M. von Ondine Dietz

(Diese Auszüge entstammen dem Tagebuch des Marlon M., der - wie es auch im Tagebuch auf chiffrierter Weise angedeutet wird - unter einem anderen Namen traurige Berühmtheit erlangt hat. Aber das ist eine andere Geschichte, deren Anfänge wir nur sehr schwer anhand des vorliegenden Materials rekonstituieren können ...)

Ich träume von Marc Rothko, ich habe in der Nacht einen Traum und male ihn, wie ich ihn sehe, ich male die Maler, die ich träume, ich male Bildhauer, wenn sie Bilder hauen, wenn sie ihren Geist, Wille und Idee, ich meine, Idee istgleich geist istgleich Wille, in das Material reinhauen, wie die Dämonen die Perlen in die Säue treiben, so long, kann ich nur zu meinesgleichen sagen, denn niemand wird diesen Perlen wieder begegnen, sie aus dem Schwein rauslesen, rausklauben. Ich habe ein kleines onirisches Pantheon: meine Götter, meine Halbgötter, meinen Rat der Weisen, die Feen, die Musen, all die, denen ich im dünn gewordenen, austrocknenden, über Stein und Bein schleichenden Jordan meiner Inspiration die Füße wasche; Mensch, so ein Tagebuch ist dazu geschaffen alles zu schlucken, kein Papier ist so geduldig wie meines, doch nichts ist befriedigender trotz Plattsein, wie das eigene Spiegelbild, das man dann doch mehr ist, als alles andere, der Augenkontakt mit sich selbst, ohne verrückt zu werden geht eigentlich nicht, und deswegen gibt es keine Spiegelung, kein Spiegelbildnis, kein Verstehen von was man ist, keine Einsicht. Ich wache auf , ich gehe über den Teppich aus Stücken von Unterwäsche um das Bett herum, aus dieser jüngsten letzten Zeit, liegen 10 bis 12 Slips herum, BH-s, irgendwelche andere Teilchen, die mysteriös aussehen, wenn man sie nicht näher anschaut, Blusen und T-Shirts, Hemdchen, Nylonstrümpfe in 2 Farben, in Elfenbein und Braun, alles liegt da wie frisch abgelegt, ausgezogen, die Weiber müssen alles da lassen, oder das eine Weib, was weiss ich, ob es immer nur die eine ist, oder mehrere, was weiss ich, ob es nicht nur eine einzige Frau war, die müssen alle, oder sie, die eine, sie muss, sie lässt ihre Unterwäsche liegen und irgendwann, ich hoffe es, wird der Fußboden schön voll, schön bedeckt, schön vollkommen bedeckt sein, und in der Ecke werden sie vielleicht schon anfangen, sich zu türmen. Ich laufe über diese Flicken und Flecken und mache eine Skizze von meinem Traum, gehe ins Bad und dusche wie immer aus einem Kanister mit kaltem Kamillentee, ich wasche mich nur mit Kamillentee, reines Wasser ist mir zu rein, ist mir eine Verschwendung von Reinheit, die ich, mir nicht mehr erlauben kann, allgemein kann ich mir in meinem Alter keine Einfachheit mehr erlauben, ihre Aggression ertragen, ich bin alt, ich bin älter, ein alter Mann und eine alte Frau, zugleich, ich bin ein gealtertes paar, wenn ich ein Poet wäre, würde ich schreiben: ich bin das kinderlose Ehepaar meines unfertigen, unzeugbaren, unlebbaren Selbst, ich bin mein niegeborener Sohn, ich habe es nichtmal fertig gebracht mich selbst zu zeugen, meine Inspiration fekundiert weder die Welt, noch ein Menschenherz, noch eine Zukunft, in der sich eine freie und glückliche Ausgabe von mir über üppig blühende Wiesen tummeln könnte. Und jetzt, im Zustand des alternden Ehepaares? Die Einfachheit? Die Einfachheit würde mich nur durch ihre monolithgleiche Präsenz, der paradoxal penetrantdiskreten, verhuschten und doch schwerfälligen Konsistenz nur wütend machen, jede Form von Einfachheit: mein Hunger, der einfache, bohrend langweilige Geschmack der Lebensmittel, die ich schon kenne, das Duschen in einer Duschkabine, deren Hässlichkeit ich noch ertragen kann, nicht aber die Aggressivität des einfachen Wassers, auch wenn es nicht einer Bergquelle entstammt, sondern was auch immer, ein Zivilisationsprodukt ist, das Wasser ist nicht produzierbar, ist nicht reproduzierbar, seine einfache Formel wird uns immer beschämen, uns immer langweilen, uns immer beruhigen. In meinem Alter aber, in der Mitte diese nimmerendenden Älterwerdens brauchen wir eine leicht beunruhigende Ruhe, etwas, das doch an uns noch zerrt, wenn auch verstellt, zärtlich. Ich trinke Kaffee gekocht mit Kamillentee, ich nehme ein Fußbad mit dampfendem Kamillentee, und nachdem ich eine Zeichnung gemacht habe, werde ich an meine geliebte Camille schreiben, sie einweihen in meinen übernächsten Projekt, der mein allererster war, dem mit den ausgestellten“ Leidensbetten“, den Krankenbetten und Kindsbetten und allen anderen Bettskulpturen, ich schreibe ihr heute noch bestimmt.

Aber vorher zeichne ich den Rothko aus meinem Traum: auf dem roten Platz, er wohnt in einer Leninstatue aus Bronze, riesengross die Statue, monstruös, ein Lenin, der agitatorisch nach vorne zeigt, in einer nach vorne gebeugten Haltung, mit ausgestrecktem Arm, ein typischer Kampflenin, eine Darstellung anknüpfend an die Tradition der monumentaler Darstellung geistiger Leader, wie Buddha als Sakyamuni, wie Zeus in Olympia, eine Vorstufe zum Moses von Michelangelo, der Kampflenin, so gross wie die Zwiebeltürme , ein Lenin on the run, ein bild der erigierten Entschlossenheit, der Aggressivität trotz Winterkälte, des martialischen Tatendranges trotz Zweireihers, trotz Weste und Taschenuhr. Rothko wohnt darin wie ein Ulysses in seinem Trojanischen Pferd, draussen ein Roter Platz, dessen Rottöne tausendfach chattiert sind, das Licht, aber auch die Pflastersteine, das Marmor in Rot, das Granit sind rot, die Ziegelsteine, die gesamte Architektur des Platzes, brillieren und zeigen sich durch Schatten und Schattesschatten aufgespaltet, ausgestrichen, karamelisiert und pastellisiert, mir fallen die passenden Verben nicht mehr ein. Ich male meinen Traum, wie Marc Rothko in der Leninstatue wohnt ,wie ein Gefangener, wie ein Wächter im Pharos, wie ein Diogenes , der täglich salutiert wird, was heisst täglich- stündlich marschieren die Garden auf und ab … wenn sie ihre Unbeweglichkeit für eine Stunde durchgestanden haben, die zu Statuen gewordene Menschen ; Schweigen und Unbeweglichkeit als Zeichen höchster Ehrbekundung gezeigt , höchster menschlicher Anstrengung, die Statue als idealer Mensch, die Statue als Sinnbild der alchemistischer Verwandlung menschlicher Haltung , die Haltung als räumliche Erscheinungsform des Geistes, denke ich , mich selbst anstrengend, und ich skizziere weiter: wie der Künstler in der Statue Tee kocht , auf einem spirituskocher, wie er den „Palazzo- Führer“ für sich heizt, wie er lüftet, durch ein Gitterfenster an Lenins Mantel, im Taschenbereich angebracht, all diese phantastischen Einzelheiten der Schwierigkeiten des Gefangenseins in einem Körper, nachts bringen die Mitkonspirateure Lebensmittel, die Achaer, die Griechen bringen Seife und Brot. In einem anderen Bild, das ich malen will, bewohnt ein anderer Künstler eine Statue, und ich frage euch: wer soll das sein, wen würdet ihr haben wollen, dieser eine oder diese andere würde in einer Statue von Sigmund Freud wohnen:
eine überdimensionale , bronzene, auf dem Times -Square, wenn es sie geben würde, oder auf dem Dach eines Art-Deco Wolkenkratzers, ein Kampffreud, in typischer Pose eines Durchschauers sämtlicher Mayaschleier, ein tiefer Grübler über Phallisches und Vaginales, im Zweireiher, mit Weste und Taschenuhr, und trotz dieser Vestimentation , trotz der zurückgenommenen, hochkonzntrierten Haltung, der einen Fotografie nachempfunden, die jeder kennt, ein Kampffreud: hochdosierte Sagazität mit dem Kampfspruch: „acherontas muevo!“ In seinem Inneren würde man im Dunkeln, wie zum Trotz, auf romantischste Weise l´amour machen , am Phallischen knapp vorbei, an Vaginalen genauso vorbei, mit liebem Gruss, wie an einem viktorianischen Mütterchens, das auf den Treppen eines Gebäudes Veilchen verkauft, ja ihn zu einem Freud machen, dem sein unbewusstes Inneres für immer verborgen bleiben würde, wie er nach vorne schaut, auf dem Time Square, oder woanders, hoch über New York. wo würdet ihr lieber wohnen? In Freud oder in Lenin? Und dann: wer sein, wen würdet ihr wählen zu sein?

Ich schreibe an Camille: Erinnerst du dich noch an unseren kleinen work-shop in dem Hotel in Beyoglu, dem Hotelzimmer, wo wir auf unsere in Auftrag gegebene Objekt-Bettwäsche warteten , die sie auch in den Schneiderateliers in Beyoglu in Rekordzeit anfertigen sollten, während wir , wie Sklavenhalter, in der grossen, schwerschenkligen Hitze auf die Künstlerware warteten, wie die Kleiderhändler auf die billigsten Kopien von Designerwaren?
Erinnerst du dich noch an die Bettwäsche mit der Gorillamutter und ihrem Kind , in einer Pieta- Postur gezeichnet, die wir gestickt haben wollten? Unser Projekt, Camille, die Leidensbetten, die Installationen von Bettstätten des Leidens: Schlaf, Tod, Lust, Liebe, Internat, Kaserne, Hotelzimmer, Ehebett, erinnerst du dich noch an das Konzept? Ich mache damit weiter, ich will weitermachen: wir brauchen Laken und Spitzen und Berge von Stoff, und wir müssen neue Bettwäsche entwerfen und Unterwäsche, Nachthemden, Deckenbordüren, wir brauchen Watte und Tüll und dich Camille, mit all deinen Camelia-Binden, Papiertaschentüchern, wir brauchen Seide , wir wollen Khomeini auf Bettwäsche gestickt haben, als Muttergottes
mit dem vom Kreuze abgenommenen Jesus, zwischen Gorillamütter mit schlafenden Babies , in der gleichen Pose, wir fahren wieder nach Beyoglu, wo wir so einfach waren.

In memoriam Marc Rothko fang ich heute an zu deklamieren, ich übe eine Rede, ich weiss noch nicht, wann ich und wo sie halten werde werde: Wir wollen endlich eine Uniform im Gesicht der Besucher unserer Ausstellungen sehen, wir liefern sie auch massgeschneidert. Keinen Tanz, keine Konvention, keinen Code, sondern Ausdruckseinheit, rituelle Mimik, und keine sonstige Kommunikation ausserhalb der Bezugnahme zu den Exponaten, warum geht sowas in einer Kirche, in einer Moschee, auf dem Friedhof, aber nicht auf einer Ausstellung? Schwach ist die Rede, aber ja, was Pseudo-Programmatisches wäre
schön, etwas, das mich mit meiner Stimme zusammenlötet, etwas, das mich strafft, mich zu meiner eigenen Wunderpille werden lässt, etwas, dass ich einnehmen kann, mich mittels so eines Diskurses komprimiert einnehmen lässt, ach, das übliche Gegenmittel zu der üblichen Selbstwahrnehmung. Ich bin in jetzt, während ich das schreibe in
meinem Atelier in der Liebfrauengasse, Rothko ist da, heute abend, morgen abend, für alle Ewigkeit, das arme Schwein, wenn ich es will, denn ich, wir- und das erzähl ich später ,wer noch beteiligt war und wie das geschah-, wir hatten ihn mittels einer spiritistischen Seance herbeigeschworen, so, dass er jetzt bei mir im Atelier spukt. Ich leide mit euch, Schwestern und Brüdern, hier in meinem Tagebuch, in dem Buch meiner Tage, an Nostalgie und Begierde nach prallem Sinn, nach der Sinnlichkeit des Sinns in der Phrase, Erzählung, Darstellung, wir haben alle einen allzu nach Saturation, und darüber hinaus, nach Üppigkeit verlangenden Geist, wir sind alle viel zu sehr in der Lage aufzunehmen und auszuspucken, wenn es nicht schmeckt, auszuspeien, wenn uns nach Demonstration ist, und zu hamstern , zu horten, zu verdauen, zu verarbeiten und letztlich alles sein oder nicht-sein können oder aber Fremdsein sein. Eigentlich ist mir, genauso , wie euch, nach mich- Aufblasen, nach Schweben, wenn auch kurz, nur kurz das Schweben und dann nach Platzen, Auflösen, bis zur Befriedigung und Befriedung einer jeden Konstruktion.
Ich glaube nicht wirklich an etwas, verflucht soll ich sein, das einzig Funktionierende an mir scheint diese Glaubens -Impotenz zu sein, ich bin ein Versager, ich bin ein Verräter an der Fantasie, ich bin ein Verräter an dem Respekt, den wir alle gegenüber dem Wahnsinn als anarchische, kreative Urkraft haben sollten, was für ein Respekt, doch nur den, des sich unmöglich per Diktat verdunkelnden Geistes, den Respekt, den ich nicht mehr tragen will als Entschuldigung für mein Unvermögen zu Glauben, dass Rothkost Geist in meinem Atelier haust und , dass ich Angst werde durchstehen müssen, oder Unheimliches erleben werde, dass ich kommunizieren werde mit Rothkos Geist, dass ich mir eine solche kleine Psychose wirklich induzieren kann, ich werde es versuchen, zu glauben, so viel dazu. Was wir taten, wer wir waren, wer die Verschworenen waren und welches Ritual wir anwendeten, alles erzähle ich hier, in meinem Tagebuch der 600 Tage , die mich entweder von dem Ruhm, Reichtum und vom Erfolg trennen, oder von einer Aktion, für die ich mir exakt 600 Tage gelassen habe , um sie mir vorzustellen, auszudenken , so, dass sie entweder letzte Aktion sein wird, die zum Ruhm, dem schnöden
Erfolg, dem Reichtum führen wird, oder die Lösung der Frager, die ich verkörpere, sein wird. Ich schreibe das Tagebuch dieser 600 Tage, ich schreibe manchmal wie mein eigener Agitator, wie mein eigener Kapo, dann wie mein eigener Hermeneut.

Mit meinem eigenen Erbrochenem auf Papier könnte ich mich, wie
jetzt schon tue, noch lange ernähren, mit Eigenfleisch, Eigensputuum, vorausgesetzt, alles was rein kam, kommt hier in irgendeiner Form wieder raus, und doch werde ich das alles hier nie mehr lesen. Ich werde es aber drucken lassen und dann abwarten; die Leute, die anderen, sie sollen das alles erfahren und dann am eigenen Leibe erleben, wie gefährlich nicht nur das Schauen ist, das distanzierte Glotzen, -wie sehr ich mich hasse für dieses istanzierte
Glotzen , und auch sie, die anderen, wenn sie etwas von mir nicht verschlingen wollen, wenn sie keine Lust empfinden und kein Appetit, sich kannibalistisch die Visionen eines anderen einzuverleiben, -sondern gefährlicher als das Anschauen ist das Lesen. Ich halte nichts von distanziertem Lesen, auch wenn ich schlecht schreibe, genauso wenig wie ich von Distanz jedwelcher Sorte halte, jede ist mir suspekt, wenn auch Distanz und Nähe zur Distanz, mein Entweihwasser sind, mit dem ich die Welt besudelnd besprenkle, und weil Lesen gefährlich ist, nein, besser gesagt. weil ich das Lesen zu einer gefährlichen Sache machen will, habe ich in diesem Tagebuch, für den Leser Sätze eingebaut, Botschaften an das Unterbewusste, Botschaften an den Schläfer in einem, kleine Kommandos , die ihn wecken sollen, ein kleines, gemeines Experiment von mir, dem keiner entkommt, laut dem Rezept aus der Trickkiste sowjetischer Neurologen im Dienste des KGB, neurolinguistisches Programmieren auch höchster Stufe und tiefster Ebene, dem keiner entkommen kann...

Fragment


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